Aktuelle Klimapolitik in Deutschland: Der Kabinettsbeschluss vom September 2019 – ein Dokument des Versagens
Hier kannst Du das Eckpunktepapier der Bundesregierung aufrufen. Hier findest Du einen Übersichtsartikel zum Kabinettsbeschluss in der Zeit Online.
Fazit vorweg: Mit dem Verzicht auf eine WIRKSAME Größenordnung der CO2-Abgabe, hat die Bundesregierung hat eine einmalige Chance vertan, wirksame Maßnahmen gegen die Erderhitzung einzuleiten. Die Regierung hat versagt. Stattdessen droht uns eine neue Subventionsorgie für die Autoindustrie.
Die deutsche Bundesregierung betreibt weiterhin Placebo-Politik.
CO2-Bepreisung
Kabinettsbeschluss ist
Bereits vorhanden ist ein Europäischer Zertifikatehandel im Energiesektor (EU-ETS). Neu: Für Gebäude und Verkehr wird ein CO2-Emissionshandel eingeführt.
erforderlich wäre
Die Einführung eines CO2-Preises ist richtig. Es fehlen aber Landwirtschaft, Ernährung und Produktion (Konsumgüter).
In den Jahren 2021 bis 2025 sollen CO2-Preise von jeweils 10, 20, 25, 30 und 35 Euro pro Tonne Co2 erhoben werden. Dadurch verteuern sich Benzin und Diesel 2021 um 3 Cent pro Liter, bis 2026 um 9 bis 15 Cent.
Der CO2-Preis ist viel zu niedrig. Nötig wäre ein Preis von mindestens 50 Euro pro Tonne.
Die Bepreisung kommt zu spät (ganz langsam ab 2021). Mit einer Steuer hätte man 2020 starten können.
Ab 2026 Versteigerung der Emissionszertifikate in einem Preiskorridor zwischen 35 und 60 Euro pro Tonne CO2. Erst dann Festlegung einer maximalen Emissionsmenge, die jährlich geringer wird.
Der CO2-Preis müsste auf bis zu 180 Euro pro Tonne steigen. Vorgehen ab 2017 wurde offen gelassen. Festlegung maximaler Emissionsmengen ab 2021.
Sozialer Ausgleich des CO2-Preises
Kabinettsbeschluss ist
Alle zusätzlichen Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollen entweder in Klimaschutz-maßnahmen fließen oder an die Bürger*innen zurückgegeben werden.
erforderlich wäre
CO2-Bepreisung soll komplett an die Bürger*innen zurückgegeben werden. Klimaschutzmaßnahmen sollen anstelle von Rüstung und Ausbau des Straßenverkehrs finanziert werden.
Anhebung der Pendlerpauschale ab 2021 ab dem 21. Kilometer befristet bis zum 31. Dezember 2026 um 5 Cent pro Kilometer.
Kompletter Unfug. Das ist, wie wenn man beim Roulette gleichzeitig auf Rot und Schwarz setzt.
Wohngeldbezieher erhalten höheres Wohngeld, bei Empfängern von staatlichen Leistungen (Hartz-IV) sollen höheren Energiekosten berücksichtigt werden.
Eine komplette Rückgabe der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung (in den unteren 60/70% der Einkommen) würde für eine volle und unbürokratische soziale Abfederung sorgen.
Ausbau erneuerbarer Energien
Kabinettsbeschluss ist
Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbarer auf 65 Prozent des Stromverbrauchs steigen (1.Hj. 2019: 44%).
erforderlich wäre
Nicht ausreichend. Wir müssen asap an die 100% kommen.
Der Ausbau der Windenergie ist aufgrund von Auflagen eingebrochen. (Vgl. die bayerische Abstandsregelung, nach der z.B. ein 150 Meter hohes Windrad 1,5 Kilometer weit vom nächsten Haus entfernt sein muss). Der Mindestabstand soll zukünftig 1.000 Meter betragen, aber es gibt Ausnahmen: z.B. Bayern darf seine 10-H-Regelung behalten. Kommunen sollen als Genehmigungs-Anreiz eine finanzielle Beteiligung am Betrieb von Windrädern erhalten.
Bayern darf Windkraftanlagen weiterhin faktisch verhindern. So funktioniert der Umstieg auf Erneuerbare nicht. Wir brauchen Windenergie, denn Wind und Sonne verhalten sich in der Stromproduktion gegensätzlich.
Das EEG-Gesetz muss weg oder zumindest von sämtlichen Hemmnissen für den Umstieg auf erneuerbare Energien befreit werden. Bisher ist es ein Erneuerbare-Verhinderungs-Gesetz.
Der von P. Altmaier eingeführte Deckel für Solaranlagen (53GW) wird aufgehoben, Subventionen werden auch bei größeren Anlagen weiterbezahlt.
Solarenergie spielt eine entscheidende Rolle. Es braucht einen garantierten und lohnende Strompreis für Solarenergie, damit ausreichend neue Anlagen gebaut werden.
Heizen: Ölheizungen und Wärmedämmung
Kabinettsbeschluss ist
Der Einbau neuer Ölheizungen soll ab dem Jahr 2026 in allen Gebäuden verboten werden, zumindest, in denen „eine klimafreundlichere Wärmeerzeugung möglich ist“. Der Tausch alter Ölheizungen gegen neue, effizientere wird mit bis zu 40 Prozent der Kosten gefördert.
erforderlich wäre
Sofortiges Verbot neuer Ölheizungen.
Verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Sanierungsmaßnahmen für die Wärmedämmung (bis 20% der Kosten über 3 Jahre).
Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). „Energieberatung für Wohngebäude“
Nicht ausreichend. Wärmedämmung ist ein Prio1 Thema. Förderung von Nullenergiehäusern muss deutlich erhöht werden, incl. aktiver Zuschüsse. Aber auch hier gilt: ein hoher CO2-Preis (mit kompletter Rückgabe) ist viel effektiver, als Subventionen.
Fortführung/Erweiterung Förderprogramm „Energetische Stadtsanierung“
ok…
Die installierte Erzeugungskapazität aus Kohlekraftwerken im Markt soll bis 2030 auf insgesamt 17 GW reduziert werden und bis spätestens 2038 vollständig beendet werden.
Der Beschluss bedeutet: Es wird noch weitere 20 Jahre Kohle verstromt! Nötig ist statt dessen: Braunkohleförderung zeitnah einstellen. Keine Zukunftsinvestionen in fossile Energieträger. Keinerlei (Steuer)Subventionen für fossile Energieträger.
Verkehr
Kabinettsbeschluss ist
Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr von 19 auf 7 Prozent senken.
erforderlich wäre
Besser: EINE Methode, um CO2-Abgaben auszugleichen: komplette Rückgabe einer hohen CO2-Abgabe, die dafür aber immer und für alles gilt.
Die Bahn soll bis 2030 eine Milliarde Euro zusätzlich vom Bund erhalten, um damit das Schienennetz auszubauen und zu modernisieren.
Im Prinzip richtig, aber viel zu wenig. Ziel sollte eine rasche Einführung des Deutschlandtakts sein, der die Bahn WESENTLICH ATTRAKTIVER UND EFFIZIENTER macht.
Die Luftverkehrssteuer wird zum 1. Januar 2020 angehoben. Der Betrag steht noch nicht fest. (Voraussichtlich Verdoppelung. Die Abgabe für Inlandsflüge beträgt derzeit 7,38 Euro.)
Innerdeutsche Flüge sollten eingestellt werden. Die Flugsteuer sollte wegen der besonders hohen Klimabelastung zusätzlich zur CO2-Steuer wesentlich deutlicher erhöht werden. (Rückgabe aller Klima-Einnahmen über die Klimadividende)
Autos mit hohem Kraftstoffverbrauch werden zusätzlich besteuert, die KFZ-Steuer soll sich enger am CO2-Ausstoß orientieren.
Große SUVs und Privatfahrzeuge mit übergroßen Motoren werden verboten.
Elektroautos werden bis 2025 von der KfZ-Steuer ausgenommen. Die Kaufprämien !!! für umweltschonende Fahrzeuge sollen zudem angehoben werden. Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Kaufprämien für E-Autos zeigen, dass nichts verstanden wurde: Wir brauchen generell eine Abkehr vom Individual-Autoverkehr (wo immer möglich) und keine neue Förderorgie für Autokonzerne.
Die Produktion von Elektroautos, v.a. mit Lithiumakkus, verbraucht enorme Mengen Ressourcen und CO2. Und: Lithiumakkus sind nur eine Übergangstechnologie. Außerdem fahren E-Autos immer noch überwiegend mit Strom aus fossilen Energieträgern. Wenn also noch fahrtüchtige Autos durch neue E-Autos ersetzt werden, erhöht dies die globalen CO2 Emissionen mehr, als wenn man das bestehende Auto behalten und dessen Nutzung aufs nötigste beschränken würde.
ÖPNV? Erhöhung von Mitteln für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Keine Vorrangregelung o.ä.
Vorrang für Radverkehr? Nur Absichtserklärung „… wird die Attraktivität des Radverkehrs erhöhen“. Nichts substantielles.
Wir brauchen ein neues Verkehrskonzept. Intensiver und schneller Ausbau des ÖPNV (Oberleitungsbusse, autonome Kleinbusse, Vorrangspuren, etc.). Vorrang für Radfahrer in den Städten.
Wirksamkeits-Kontrolle und Steuerung von Klimaschutzmaßnahmen
Kabinettsbeschluss ist
Für Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Gebäude und weitere Sektoren werden auf Basis der bereits im „Klimaschutzplan 2050“ vereinbarten Ziele jährliche CO2-Budgets in einem Gesetz verankert.
erforderlich wäre
Richtig: Festschreibung per Gesetz.
Falsch: Absenkung geht zu langsam – auch nach den bisherigen Budget-Vorgaben.
Klimakabinett wird Dauereinrichtung und prüft Wirkung und Effizienz der Klimaschutzmaßnahmen und wird von Expertengremium unterstützt.
Das ist die Einladung an uns, keine Ruhe zu geben, bis ausreichende und wirksame Maßnahmen gegen die Erderhitzung durchgesetzt sind.
Konsequenzen für Ministerien, die die vereinbarten Ziele verfehlen – gibt es nicht.
Mit Unverbindlichkeit werden wir nicht weiter kommen. Erforderlich ist eine klare Festlegung jährlicher Ziele mit entsprechenden Konsequenzen bei Nichterreichung.
Informationsportal für Möglichkeiten, persönlich zum Klimaschutz beizutragen.
Das werden wir gerne nutzen.
Außerdem enthält der Kabinettsbeschluss viele kleinere Maßnahmen – Dinge, die man einfach tun muss (Methan-Emissionen aus Mülldeponien reduzieren). Daneben jede Menge vage gehaltener Absichtserklärungen.
Was fehlt ist ein Gesamtkonzept, dessen zentraler Baustein eine wirksame CO2-Abgabe mit Rückverteilung sein muss. Stattdessen Subventionen, Steuererleichterungen (dienen denen, die viel Steuern zahlen) und viele kleine Aufgaben, die man schon vor Jahren hätte angehen können und müssen. Echte, terminierte, konkrete und mutige Maßnahmen fehlen.
Kommentare und Reaktionen zum Klimapaketchen
Harald Lesch zu den Groko-Klimaverhandlungen
MaiLab zu den Ergebnissen der Groko-Klimaverhandlungen
Klimastreik am 20.9.2019
Greta in New York
Weltweite Massendemonstrationen
Was ist tatsächlich notwendig, um den Klimawandel aufzuhalten?
Was ganz klar zu tun ist
Alternative Wege der CO2-Bepreisung
Die “Wirtschaftsweisen” sprechen sich in Ihrem Gutachten für eine CO2-Bepreisung als marktwirtschaftliches Instrument zur Reduktion von Treibhausgasen aus.
FAQ zur CO2-Bepreisung von Scientists for Future – verständliche Antworten auf komplizierte Fragen
„Ein wesentlicher Grund dafür, dass Klimaschutz nur unzureichend umgesetzt wird, ist, dass Treibhausgase keinen angemessenen Preis haben. Nun wird in Deutschland daher kontrovers diskutiert, wie CO2-Emissionen einen höheren Preis bekommen können. Dabei werden eine CO2-Steuer, eine Erweiterung des europäischen Emissionshandels oder Mischformen und Varianten dieser Instrumente erwogen.“ (Quelle: SfF)
Hier direkte Links zu den Antworten von Scientists for Future. Den Gesamttext kann man hier als PDF downloaden.
Wirksamkeit und Ausgestaltung
Verteilungskonflikte und Gerechtigkeit
Weitergehende Maßnahmen
Quellenverzeichnis von Scientist for Future
Autorinnen und Autoren von Scientists for Future
Wer es ganz wissenschaftlich will: Hier das MCC-PIK-Papier „Optionen für eine CO2-Preisreform„
Informationen zum EU-Emissionshandel (EU-ETS = European Union Emission Trading Scheme), der derzeit (Sep 2019) etwa 5% der EU Emissionen einschließt: https://bit.ly/2Kdo1ip
- Preisentwicklung der EU-Emissionszertifikate (Abb. ES.1): Trends and projections in the EU ETS in 2018The EU Emissions Trading System in numbers
- Durch den lange zu niedrigen Preis “hat der EU-ETS seine Funktion (…) weitgehend verloren” – sagt das Bundesumweltamt in seiner Broschüre „Klimaschutzziele: Die Reform des europäischen Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der Europäischen Union“
- Infolge wenig ambitionierter Caps, krisenbedingter Produktions- und Emissionsrückgänge und der umfangreichen Nutzung von internationalen Projektgutschriften hat sich seit 2008 eine große Menge überschüssiger Emissionsberechtigungen im EU-ETS angesammelt. Diese Überschüsse haben wesentlich zu dem zwischen 2011 und 2017 beobachtbaren Preisverfall für Emissionsberechtigungen beigetragen. Seit Mitte 2017 sind die Preise wieder deutlich gestiegen. Mitte 2019 lag der Preis bei rund 28 Euro. (Umweltbundesamt, Der Europäische Emissionshandel)
- Aktueller Preis pro Tonne CO2: European Emission Allowances (EUA) https://bit.ly/2kfEETq